Rückspiegel: 100 Jahre Leichtathletik im TVU: eine lange Erfolgsgeschichte!

Es war im Sommer 1922, als beim Eidgenössischen Turnfest in St. Gallen der offizielle Startschuss für die Leichtathletik im Eidgenössischen Turnverein gegeben wurde, und der TVU war schon im ersten Moment präsent und auch erfolgreich.

1922: Das «volkstümliche Turnen» wurde salonfähig
Nach den Wirren des ersten Weltkriegs war der Eidgenössische Turnverein, und mit ihm die vaterländisch verbrämte Turnergesinnung, arg unter Druck geraten, und er lief Gefahr, den Kontakt zur Jugend zu verlieren. Deshalb wurde beschlossen, neben dem Kunst- und dem Nationalturnen auch die Leichtathletik in die Kategorie der Einzelsportarten aufzunehmen. Zuvor waren allerdings vielerorts noch grosse Widerstände zu überwinden gewesen, denn das bisher, wegen seinen «geringen Anforderungen» abschätzig als «volkstümliches Turnen» benannte Treiben auf dem freien Feld, hatte bis weit in die Verbandsspitze hinein mächtige Feinde.

Beim TVU war man allerdings schon frühzeitig gewappnet, und dank dem «versöhnlichen Geist im Verein und der vernünftigen Einstellung der Leichtathleten» blieb man vor schweren Unstimmigkeiten im Verein verschont.» (Zitat TVU-Jubiläumsschrift 1939)
So brachte schon das Fest in St. Gallen mit Werner Schweizer den ersten Eidgenössischen Olivenkranz-Gewinner aus den Reihen des TVU. Er war denn auch, zusammen mit seinem Bruder Emil Schweizer und mit Paul Schläpfer die treibende Kraft beim Aufbau der TVU-Leichtathletiksektion.

Leichtathleten als willkommene Punktelieferanten an den Turnfesten
Natürlich drehte sich noch Jahrzehnte lang im TVU fast alles um die jährlichen Turnfeste, wo die Sektion jeweils möglichst gross und erfolgreich auftreten wollte. Und da waren die Leichtathleten jeweils stets willkommene Lieferanten von hohen Punktzahlen im dreiteiligen Sektionswettkampf. Dabei gab je länger, je mehr die bis in die späten 1960er-Jahre geltende Regelung zu Ärger Anlass, dass im Wettkampf (bei jedem Wetter) die wartenden Athleten in absolut ruhiger Haltung am Rande des Wettkampfplatzes zu stehen hatten, bis sie wieder an der Reihe waren… Die Verantwortlichen der Leichtathletik-Obmannschaft hatten jeweils sehr viel Überzeugungsarbeit zu leisten, um die Athleten überhaupt ans Turnfest zu bringen, umso mehr, als diese dabei auch noch die Marsch- und Freiübungen mitturnen mussten. Dafür konnten sich an fast jedem Turnfest auch eine ganze Anzahl Mehrkämpfer Oliven-Kränze auf den Kopf setzen lassen und so das Prestige der Leichtathletik im TVU weiter vermehren.

Der TVU als Läuferverein
Abseits der Turnfeste entwickelte sich die TVU-Leichtathletik vor allem im Bereich der Läufe zu einem der erfolgreichsten Schweizer Klubs, so dass man in der Presse sehr oft den Begriff «Läuferverein» für den TVU verwendete. Besonders an den Schweizer Staffelmeisterschaften zeigte sich oftmals die TVU-Überlegenheit, wenn an einem einzigen Sonntag manchmal bis zu vier Staffel-Titel gewonnen wurden. Allein zwischen 1952 und 1963 lautete die TVU-Medaillenbilanz: 28mal Gold, 20mal Silber und 5mal Bronce. Und auch an den Schweizer Einzelmeisterschaften kamen die Titel in dieser Zeit ausnahmslos aus der Läuferszene.

Schon 1926 nahm der TVU erstmals am Prestige-Stafettenlauf «Quer durch Zürich» teil, und zwei Jahre später feierte man den ersten Sieg in der Kat. B. Nach dem Aufstieg in die Kategorie A dauerte es dann volle 25 Jahre, bis 1953 der erste Sieg in der Spitzenklasse vor den ewigen Stadtrivalen LCZ gelang. Danach waren die TVU-Leichtathleten aber ein Jahrzehnt lang in diesem Bereich das Mass aller Dinge.

Grosses Gewicht auf die Breitenwirkung

So wie es bei der TVU-Sektion an den Turnfesten immer um den Auftritt mit einer möglichst grossen Anzahl Turnern ging, war auch in den ersten 50 Jahren der TVU-Leichtathletik die Demonstration der Breite des Vereins ein vorrangiges Ziel. So starteten beispielsweise am «Quer durch Zürich» jeweils bis zu 100 Läufer in 10 bis 15 Teams in allen Kategorien, oder bei den Schweizer Staffelmeisterschaften war der TVU meistens mit etwa einem Dutzend Staffeln am Start. Aber auch im grössten Prestige-Wettbewerb der Schweizer Leichtathletik, der Schweizer Vereinsmeisterschaft (SVM) brachte das Wirken von TVU-Legende Max Tobler mit seinen Helfern in einem Jahr bis zu 47 Mannschaften an den Start, darunter z. B. 3 Teams in der Kategorie A. Gerade in der SVM war der TVU in Sachen Breite während Jahren nicht zu schlagen, nur mit dem so ersehnten Sieg in der Kategorie A wollte es einfach nicht klappen. Finalteilnahmen mit zweiten und dritten Rängen gab es zwar einige, aber stets stand der LCZ, manchmal nur mit wenigen Punkten Unterschied, dem TVU vor der Sonne. Dass es dann ausgerechnet im TVU-Jubiläumsjahr 1964 (100 Jahre TVU) zum bis heute einzigen Mal gelang, den Titel in der Kategorie A zu gewinnen, gehört bis heute zu den emotionalen Höhepunkten in der TVU-Leichtathletikgeschichte.

Die TVU-Leichtathletik-Neuzeit begann 1970

Schon zu Beginn der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts regte sich unter den Leichtathleten im TVU Widerstand gegen den Status im TVU, denn im Gegensatz zu den Handballern, Skirieglern, Männerturnern oder gar den Jungturnern, hatten die Leichtathleten nie den Status einer Riege erhalten. Sie waren administrativ Sektionsturner geblieben. 1957 wurde dann endlich beschlossen, dem TVU eine Leichtathletik-Abteilung anzugliedern, welche im Verein grösst mögliche Autonomie erhalten sollte, aber es dauerte 10 Jahre, bis dann auch die Statuten diesem Umstand angepasst wurden. Dies verhinderte den durchaus vorhandenen Wunsch zur Gründung eines eigenen Leichtathletik­clubs, und es war dem neuen Vorstand unter Obmann Ernst Kümpel und natürlich Max Tobler, dem jahrzehntelangen Trainer, Coach und Seele der TVU Leichtathletik zu verdanken, dass die Bindung an den TVU-Gesamtverein auch weiterhin eng blieb.

An der GV 1970 wurde ein neuer Leichtathletik-Vorstand gewählt, der einen Generationenwechsel einläutete. Dabei stützte man sich auf ehemalige Athleten, welche sich gewöhnt waren, mit Hindernissen umzugehen, denn mit Peter Boesch (Obmann), und Jörg Schaad (Techn. Leiter) waren zwei Hürdenspezialisten der vergangenen Jahre neu für die Führung der TVU-Leichtathletik verantwortlich. Dazu stellten sich weitere junge, unverbrauchte Kräfte für die Mitarbeit zur Verfügung. Sie brachten frischen Wind in die Abteilung und konnten sich dabei zudem auf einige der bisherigen Vorstandsmitglieder als Routiniers und Ratgeber stützen. So war der Weg frei, um die gewünschten neuen Strukturen zu realisieren, wobei die grösste Herausforderung war, die finanziellen Grundlagen der Abteilung zu verbessern, nicht zuletzt, weil seit kurzem auch eine Damen-Leichtathletikabteilung existierte.

Als äusseres Zeichen der Veränderung diente dabei ein neues LAC-Signet mit dem von Jörg Schaad kreierten roten «U» auf blauem Grund, welches vom ganzen TVU als Vereinsemblem übernommen wurde. Dazu schufen die Leichtathleten mit dem passenden roten Punkt auf dem Rücken des Trikots zusätzlich einen werbewirksamen Gag

Die Frauenleichtathletik hält Einzug im TVU
1969 war im TVU eine weitere Mauer eingerissen worden. Es wurden nun auch Frauen als Mitglieder aufgenommen, und das dank der Gründung einer Damenleichtathletik-Abteilung. Dabei bildete sich aus einer Basis von etwa zwei Dutzend Leichtathletinnen schon bald ein starker Ast im TVU-Gebilde, der sehr rasch qualitativ und quantitativ anwuchs.

Während bei den Männern die früher gewohnten Erfolge bei Meisterschaften langsam zurückgingen, mehrten sich dafür die Erfolgsmeldungen bei den Frauen, und zwar in allen Bereichen der Leichtathletik, also bei den Läufen, Sprüngen und Würfen. Der TVU wurde so im weiten Umkreis von Zürich zu einem magischen Anziehungspunkt für Spitzenathletinnen, mit dem Resultat, dass in der SVM die TVU-Frauen zwischen 1982 und 1996 neunmal den Meistertitel holten und dadurch auch fast jedes Jahr bei den europäischen Klubmeisterschaften startberechtigt waren. Und auch die Olympia- und WM-Teilnahmen aus dem TVU kamen zwischen 1980 und 2000 ausschliesslich aus dem Frauen-Bereich. In den darauffolgenden Jahrzehnten glichen sich dann die Erfolgsmeldungen zwischen den Frauen und Männern wieder aus.

Grosse Erfolge auch als Organisatoren Kaum war der neue Vorstand 1970 im Amt, da wurden in der Schweizer Leichtathletik die Weichen neu gestellt. Anstelle der beiden «verfeindeten» Verbände SALV und ELAV wurde 1972 der Einheitsverband SLV (heute «Swiss Athletics») gegründet und damit eine Gleichstellung aller Clubs und Vereine erreicht. Und die TVU-Leichtathleten nutzten schon die erste mögliche Gelegenheit, um sich um die Organisation der Schweizermeisterschaften 1973 zu bewerben. Und sie bekamen diese Prestige-Aufgabe auch umgehend zugesprochen. In den rund anderthalb Jahren Vorbereitung leistete das OK rund um Peter Boesch grossartige Arbeit und trat gleich mit mehreren bahnbrechenden Neuerungen auf.

Die Zeitmessung in den Läufen und die Weitenmessung in den Würfen und Sprüngen wurden erstmals auf elektronischer Basis vorgenommen und als neuer Standard fixiert. Dazu kam auch die elektronische Resultatermittlung, welche zwei Jahre zuvor beim Zürcher Kantonalturnfest mit dem Tages Anzeiger zusammen ausgeklügelt worden war, und welche dazu führte, dass man die Ranglisten schon kurz nach dem Wettkampf in den Händen hielt. Das Echo in den Medien war entsprechend gross und positiv. Der TVU hatte seine Organisations-Fähigkeiten erstmals Schweiz-weit präsentiert. Und auch die Kasse stimmte. Die Leichtathletik-Abteilung konnten einen schönen finanziellen Grundstock legen.

Die Organisationsarbeit für den Zürcher Silvesterlauf (1977 – 1990 in Zusammenarbeit mit dem «Blick», ab 1991 in Eigenverantwortung) brachte der TVU-Leichtathletik eine neue, wichtige Einnahmequelle, die, ebenso wie der später zeitweise organisierte Zürich Marathon, die finanzielle Sicherheit des Vereins deutlich erhöhte.

Kontinuität in der Führung der LA-Abteilung
Wichtig für den Erfolg der TVU-Leichtathletik war sicher auch die Kontinuität auf der Vorstandsebene, und zwar sowohl im administrativen als auch im technischen Bereich. Nachdem Peter Boesch 1989 nach fast zwanzig Jahren als Präsident das Szepter an Bruno Hiestand weiter reichte, um dann acht Jahre später nochmals zwei Jahre die Verantwortung zu übernehmen, wurde dann zu Beginn des neuen Jahrtausends der aus Luzern zugezogene Christoph Widmer ins Präsidentenamt gewählt und führte die TVU Leichtathleten während 20 Jahren. In der technischen Leitung trifft man auf Namen wie Franz Kälin, Bruno Lafranchi, Corinne Meier und natürlich den über allen thronenden Max Tobler, der während rund siebzig Jahren der gute Geist auf den Trainingsplätzen des TVU war. Sie und viele andere waren dafür zuständig, dass im Training und während den Wettkämpfen der TVU-Geist stets hochgehalten wurde, als Garant für die jahrzehntelangen Erfolge, welche das Bild der TVU-Leichtathletik formte und zementierte.

Internationale und nationale Erfolge, welche Schlagzeilen machten
Von der ersten Olympia-Teilnahme an, 1952 durch Fritz Griesser (100m) und Ernst Schneider (400m), war der TVU während zwanzig Jahren stets mit mehreren Athleten bei Olympia vertreten. Den Höhepunkt bildeten dabei die Olympischen Spiele in Rom mit der Dreierdelegation Sebald Schnellmann (200m) Bruno Galliker (400m Hürden) und Walter Kammermann (3000m Steeple). Galliker glänzte dabei mit einem 6. Rang im 400m Hürdenfinal. Auch für 1956 hatten sich mit Fritz Griesser, Sepp Huber und René Weber drei TVU-Sprinter qualifiziert, mussten aber wegen dem Schweizer Boykott zuhause bleiben. Griesser und Huber traten danach frustriert zurück und René Weber wechselte zusammen mit Bruder Emil zum Stadtrivalen LCZ.

Insgesamt waren es bis heute 19 Olympia-Einsätze durch 11 Athleten und 5 Athletinnen des TVU. Dabei waren Fritz Griesser (1952 / 1956, Sprint), Hans Menet (1968 / 1972, 3000m Steeple) und Sieglinde Cadusch (1992 / 1996, Hochsprung) mehrfach olympisch qualifiziert.

Die Weltmeisterschaften wurden 1983 eingeführt, zu einer Zeit, als in der TVU-Leichtathletik hauptsächlich die Frauen erfolgreich waren. Das zeigt sich mit 5 Athletinnen (7 Einsätze) und 2 Athleten auch in der Statistik deutlich. Zählt man die Cross-, Halbmarathon- und Hallen-WM ebenfalls, so kommen nochmals fünf Teilnahmen dazu. (2 Männer mit 6 Starts und 3 Frauen mit 5 Starts)

Bei den Europameisterschaften starteten zwischen 1954 und 2016 18 Untersträssler und 7 Untersträsslerinnen (zwei davon für ausländische Nationalteams), wobei der grösste Erfolg auf das Jahr 1962 zurückgeht, als Jean-Louis Descloux und Bruno Galliker in Belgrad mit der 4x400m-Staffel die Broncemedaille gewannen. Bei den Hallen-EM war der TVU 11mal vertreten, durch die Mittelstreckler Werner Meier und Gerd Kilbert (je zweimal) sowie durch Martha Grossenbacher (5x 60m) und Sieglinde Cadusch (2x Hoch)

An den nationalen Titelkämpfen sammelten die TVU-Athletinnen und -Athleten zwischen 1952 und 2017 nicht weniger als 204 Goldmedaillen, davon 130 Einzel- und 74 Staffel-Titel. Dazu kommen noch die 9 SVM-Siege in der Kat. A der Frauen sowie der legendäre Titel der Männer von 1964. Man darf also Übertreibung behaupten, dass die TVU-Leichtathletik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Schweizer Leichtathletikszene den Stempel aufgedrückt hat. Das Modell des TVU wurde für viele Vereine und Clubs zu einem stark beachteten Vorbild

Es ist zu hoffen, dass dies auch für die künftigen TVU-Generationen ein Ansporn sein wird, die Präsenz des Namens LAC TV Unterstrass in den Meisterschafts- und Nationalmannschafts-Listen wieder zu erhöhen. Dazu liefern wir schon einmal ein laut vernehmliches:

Hopp TVU!

Peter Tobler

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