Gedankenstriche: Der STV im Gegenwind

Die Führung des Schweizerischen Turnverbandes steht zurzeit im medialen Gegenwind - zu Recht - allerdings aus falschem Anlass!

Der STV in Schieflage
Der Schweizerische Turnverband, jener Verband also, dem der TVU seit 155 Jahren als Mitglied angehört, befindet sich zurzeit in arger Schieflage. Nicht der ganze Verband, aber mindestens die Abteilung «Spitzensport» und die oberste Verbandsführung. Grund dafür sind Vorwürfe von ehemaligen Spitzenturnerinnen aus dem Bereich der Rhythmischen Sportgymnastik und des Frauenkunstturnens wegen zum Teil unmenschlicher Behandlung durch Trainerinnen und Trainer.

Der von den TA-Medien als Sensation aufgemachte Report trifft aber das wirkliche Malaise in diesem Verband nur ganz am Rand. In Schieflage hängt nämlich die seit langer Zeit zum Teil mangelhaft besetzte Abteilung Spitzensport und die Geschäftsleitung. Die zum Teil tendenziöse Reportage im TA-Magazin vom 31. Oktober und die darauffolgenden Nachzüge in weiteren Publikationsorganen, haben nun aber wenigstens zum Ergebnis geführt, dass mit dem STV-Geschäfts­führer Ruedi Hediger und dem Spitzensport-Chef Felix Stingelin zwei der massgebenden Fehlbesetzungen endlich zum Rücktritt gezwungen wurden. Sie waren schliesslich die Hauptverantwortlichen für viele der Mängel im STV-Spitzensport, indem sie konsequent weggeschaut haben, statt für Ordnung zu sorgen. Die letzte dieser Fehlhandlungen liegt erst ein halbes Jahr zurück, als dem erfolgreichen und äusserst effizienten Trainer der Schweizer Kunstturner Beni Fluck die Möglichkeit verweigert wurde, seine Turner bis nach den um ein Jahr verschobenen Olympischen Spielen zu betreuen, wie das jeder vernünftige Mensch erwartet hätte. Sie beharrten auf der Vertragsauflösung zum vorgesehenen Datum nach Olympia 2020, als ob es nie eine Corona-Pandemie und deren Folgen gegeben hätte.
Interessant an den medialen Diskussionen ist auch, dass die Medien die Präsidenten des Gesamtverbandes STV kaum in die Verantwortung  gestellt haben, welche Kraft ihrer Funktion für die Fehlbesetzungen mitverantwortlich waren und ebenfalls von den angeprangerten Verfehlungen im Trainingsbereich etwas mitbekommen haben müssten. Die Pointe ist jetzt wohl, dass Ex-Nationalrat Jürg Stahl nun in seiner aktuellen Position als Präsident von «Swiss Olympic» die Einsetzung einer Untersuchungskommission angeordnet hat, um die Verfehlungen in jenem Turnverband abzuklären, bei dem er selbst eine Zeit lang Präsident war…

Doch nun zurück zum Auslöser des ganzen Wirbels, dem Artikel im TA-Magazin mit dem reisserischen Titel «Die Magglingen-Protokolle» Untertitel: Im Kunstturnen und in der Rhythmischen Gymnastik gehören Einschüchterungen, Erniedrigungen und Misshandlungen zum Alltag. Acht Frauen erzählen.
Dazu ist zu sagen, dass mit dem Erwähnen des Trainingsorts Magglingen schon einmal ein falsches Signal gesetzt wurde, denn so wurden die angeprangerten üblen Vorkommnisse in zwei relativ kleinen und wegen den unüblichen Altersstrukturen im Spitzensport (Mädchen und Teens zwischen 10 und 16 Jahren) ganz speziellen Sportarten plötzlich zu einem Fall «Magglingen». Das schreckte sogar die Polit-Profis bis hinauf in den Bundesrat auf, wo doch scheinbar das «Herz des Schweizer Sports», die Eidgenössische Turn- und Sportschule Magglingen, wie sie einst hiess, zum Sündenpfuhl geworden war. Dabei war doch alles eine vor allem auf Sensation getrimmte Reportage zweier mit den entsprechenden Sportarten kaum vertrauter Journalisten, welche mit dem Prinzip der Verdichtung aus einer eher dünnen Suppe einen veritablen Brei von scheinbar grosser Substanz machten. Durch diese Verdichtung mit ständigen Wiederholungen entstand ein Zerrbild, wie es die Fernsehkamera jeweils zeigen kann, wenn sie einen Stangenwald im Slalom durch ein grosses Teleobjektiv aufnimmt. Es entsteht der Eindruck, das ganze Bild sei voller undurchdringlicher Stangen, weil eben alles auf eine einzige Ebene projiziert wird und dabei die Tiefe, die dritte Dimension, verloren geht.
Ich hatte beim Durchlesen nach den ersten zwei, drei von insgesamt 16 Textseiten immer wieder das Gefühl, das habe ich doch schon ein- oder mehrmals gelesen.
Dass die beiden Journalisten von einem normalen Trainingsbetrieb und den Anforderungen, welche gerade in zwei so intensiven, technischen Sportarten wie der Rhythmischen Gymnastik und dem Kunstturnen verlangt werden, wenig Ahnung haben, zeigte sich an verschiedenen Stellen. Sie verliessen sich einfach auf die Aussagen und Erinnerungen von jungen Damen, welche vom aktiven Sport zurückgetreten sind und nun ihrem Frust freien Lauf liessen. Wenn ich eine gleichartige Reportage über den Rückblick auf einzelne Lehrer aus der Schulzeit oder «unmögliche» Chefs aus der Geschäftswelt machen wollte, hätte ich wohl auch keine Mühe, die entsprechenden Zeugen zu finden. So viel zum Wert und der Objektivität der Reportage und zur Tatsache, dass die effektiven Missstände im STV mit keinem Wort erwähnt wurden.
Und noch etwas darf nicht unerwähnt bleiben! Man konnte den Eindruck gewinnen, dass da in den Trainings in einem abgeschlossenen Bunker seelische Misshandlungen passiert seien, weit ab von der nun geschockten Öffentlichkeit. Fehldiagnose! Die Jubiläumshalle des STV in Magglingen, welche 1982 aus Anlass des 150jährigen Bestehens des Eidgenössischen Turnvereins von den Mitgliedern für ihre Spitzensportler/innen finanziert worden ist, wurde von Anfang an auf Transparenz und Publikumsfreundlichkeit ausgelegt. So gibt es auf der gesamten Längsseite der Halle einen grossen Zuschauer-Balkon, der jederzeit offen ist und einen freien Blick auf das Trainingsgeschehen ermöglicht. Dabei haben sich in den bald 40 Jahren seit dem Bestehen der Halle schon einige Zehntausend Besucher/innen ein Bild von der Trainingsintensität im Kunstturnen und in der Gymnastik machen können und sind dabei meistens aus dem Staunen kaum mehr herausgekommen, wenn sie mit anderen, viel populäreren Sportarten verglichen haben. Viel «Knatsch» in der Halle dürften sie dabei allerdings nicht entdeckt haben…
Dass sich nun als erste die derzeit noch aktiven Kadermitglieder im Männer- und Frauenkunstturnen gegen die in den Medien pauschal erhobenen Vorwürfe und die Verunglimpfung des Standorts Magglingen gewehrt haben, zeigt dass in diesen Kreisen die Massstäbe noch intakt sind, und dass auch in Corona-Zeiten in Magglingen selber die Vernunft noch nicht so stark gelitten hat wie in gewissen Politik-, Verbands- und Medienkreisen.

Peter Tobler

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