Nachdem in der laufenden Saison vor allem die Frauen mit teils brillanten Resultaten olympische Träume geweckt hatten, machten zwei der erfolgreichsten Männer der letzten Jahre mit positiven Dopingproben negative Schlagzeilen. Die beiden Fälle von Kariem Hussein und Alex Wilson sind zwar nicht miteinander zu vergleichen, aber die Dummheit, mit der die beiden Athleten die Fortsetzung ihrer Karrieren aufs Spiel gesetzt haben, ist absolut gleichwertig.
Während 400m Hürden-Europameister Hussein seinen Fehler sofort zugegeben und sich dafür entschuldigt hat, versucht Sprinter Wilson mit völlig abstrusen Erklärungen, das Unheil einer langen Sperre noch abzuwenden. Dabei haben sich der Leichtathletikverband und die Disziplinarkommission des Schweizer Sports in diesem Fall auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert, und es steht der Verdacht im Raum, dass diese beiden Gremien den «Fall Wilson» unter den Teppich kehren wollten.
Während bei Hussein schon am gleichen Tag, an dem die positive Probe bestätigt worden war, vom Verband informiert und mit einem strengen Strafantrag sanktioniert wurde, blieb es im Fall Wilson, dessen positive Probe im März von Antidoping Schweiz erhoben und Anfang April im Labor festgehalten wurde, absolut still. Erst eine geharnischte Reaktion des internationalen Leichtathletikverbands und der WADA (Welt-Antidoping-Agentur), welche den Fall dem CAS (Welt-Sport-Gerichtshof) vorlegten, brachte die Angelegenheit der Öffentlichkeit zur Kenntnis. Der CAS machte die Aufhebung der provisorischen Sperre durch die Schweizer Disziplinarkommission wieder rückgängig, so dass Wilson noch auf dem Flughafen Kloten vor seiner Abreise nach Tokyo zurückgehalten werden konnte.
Danach kam dann so nach und nach der ganze Ablauf des Verfahrens zum Vorschein, und ein Kopfschütteln über die absolut gutgläubige Verarbeitung durch Verband und Disziplinarkommission ist noch die mildeste Reaktion, welche man dafür bereithalten kann.
Der Reihe nach erzählt, sieht die Sache folgendermassen aus: Alex Wilson weilte Anfang des Jahres in den USA im Trainingslager und wollte Ende März für kurze Zeit in die Schweiz zurückkehren, um seine Familie zu besuchen, die sich mittlerweile um eine Tochter vergrössert hatte. Diese Gelegenheit packte Antidoping Schweiz beim Schopf, um eine Dopingkontrolle ausserhalb der Wettkampfzeit durchzuführen. Wilson war schon wieder in den USA, als Anfang April im Labor der positive Test der A-Probe auf ein als Anabolikum geltendes Mittel (Trenbolon) bekannt wurde. Wilson wurde vom Schweizer Verband wie üblich sofort provisorisch gesperrt. Die Sperre wurde aber der Öffentlichkeit verschwiegen. Und von diesem Augenblick an wurde die Sache skurril.
Wilson legte Rekurs ein, mit der Begründung, dass der positive Test durch in den USA kurz vor der Heimreise in grossen Mengen verzehrtes, kontaminiertes Rindfleisch zustande gekommen sei. Diese Mär vom verseuchten Fleisch geistert schon seit Jahren immer wieder ab und zu durch die Sportwelt. Die effektiven Fälle, welche nach diesem Muster geklärt wurden, sind aber weltweit an einer Hand abzuzählen. Wilsons Intelligenz müsste also schon sehr begrenzt sein, wenn er sich so hätte erwischen lassen, umso mehr, als er schon früher seine Angst vor einer solchen, ungewollten Verseuchung öffentlich geäussert hatte. Dass er dann, zwei Tage bevor er in die Schweiz reiste, wo er völlig unbesorgt Fleisch hätte essen können, in den USA in einem jamaikanischen Restaurant auf «Teufel komm raus» Fleisch verzehrte, lässt nur einen Schluss zu: Er wollte eine Erklärungsmöglichkeit schaffen, falls er in der Schweiz positiv getestet würde. Es zeichnet sich nämlich immer öfter ab, dass erwischte Dopingsünder/innen jeweils schon unmittelbar nach einem positiven Test eine Erklärung für eine unglückliche Verkettung von Umständen bereit haben, welche zu dieser positiven Probe geführt hätten. (Lippenpomade. Gesichtscrème, Asthmaspray – die Liste wird lang und länger…)
So weit, so schlecht, denn ein Angeklagter (Frauen sind mit-gemeint…) darf sich ja verteidigen, wie er will. Bedenklich, wenn nicht sogar begünstigend ist allerdings die Haltung der Disziplinarkommission und des Verbandes, welche diesen Grund als «möglich» qualifizierten und die provisorische Sperre klammheimlich wieder aufhoben, ebenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit, und dies, obwohl man nicht müde wird, ständig von nötiger Transparenz zu reden.
Mit den Termini «möglich», oder «nicht ganz auszuschliessen» hat man die Latte für Betrüger so tief angesetzt, dass dabei fast jeder überall durchkommen würde. Und hier hat nun der Internationale Sportgerichtshof, der während den Olympischen Spielen eine Ad-hoc-Kommission betreibt, die innert Stunden entscheiden kann, die Massstäbe klar definiert. Eine Erklärung muss nicht nur «möglich» sein, sondern die Begründung muss auch «wahrscheinlich» sein können, was die Schwelle erheblich höher ansetzt. Damit wurde Wilsons provisorische Sperre wieder ausgesprochen, und zwar bis zur endgültigen Verhandlung des Sachverhalts. Die Frage, ob die Schweizer Instanzen wirklich so leichtgläubig gewesen sind, oder ob da mehr dahintersteckt, hinterlässt auf jeden Fall einen schalen Geschmack.
In diesem ganzen Kontext bekommt auch der zweite «Aufreger» um Wilson im Monat Juli eine neue Bedeutung, nämlich die Diskussion um die gemeldeten Fabelzeiten über 100m (mit Europarekord) und 200m (mit Schweizerrekord). Ich habe die völlig verwirrende erste Meldung darüber morgens um 6 Uhr am Radio gehört und mir sofort gesagt «das stimmt sicher nicht!» Und auch der Europäische und der Schweizer Leichtathletikverband hegten von allem Anfang an Zweifel, ob da homologierbare Leistungen zustande gekommen waren, und binnen einer Woche waren die Rekordzeiten vom Tisch. Es war auch ein Amateur-Video des Laufs aus einer Perspektive im Innenraum zu sehen, welche schon andeutete, dass ein Frühjahrsmeeting des TVU im Sihlhölzli im Vergleich zu jenem in Atlanta ein Weltklasseanlass wäre…
Die Frage, welche sich sofort stellte, war doch, weshalb Wilson im Vorfeld von Olympia an einem solchen «Güngel-Meeting» teilgenommen hatte, wo weder die Leichtathletikanlage homologiert war noch die Zeitmessung samt Startkontrolle funktionierte, vom Windmesser schon gar nicht zu reden. Sicher war bei diesem Meeting nur eines: Es würden keine Dopingkontrollen durchgeführt… Blöd war halt nur, dass die Zeitmessung derart falsch war, dass absolute Wunderzeiten gemessen wurden, und noch blöder waren jene, welche diese Resultate nach Europa weiter meldeten.
Fazit des Geschehens:
«Steter Tropfen höhlt den Stein», oder eben: «Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht!»
Einen Trost gibt es aber doch noch: Die Schweizer Leichtathletinnen werden hoffentlich ihrer jüngsten Reputation gerecht und bei Olympia mit erfreulichen Leistungen aufwarten.
PS: In dieser Formulierung sind die Männer ausdrücklich nicht mit-gemeint…
Peter Tobler